SPD Nortorf

Der Weg in die Diktatur

Der Weg in die Diktatur

Wie wir gesehen haben, stand die Weimarer Republik von Beginn an auf schwachen Füßen. Große Teile der Verwaltung, der Justiz und des Militärs befürworteten die Rückkehr zur Monarchie. Der Kapp-Putsch im März 1920 und der Hitler-Ludendorf-Putsch im November 1923 waren deutliche Warnungen. Die militaristische Ausrichtung der reaktionären Kräfte zeigt sich zunächst in den bewaffneten Freikorps, die später in großen Kampfbünden wie dem schon 1918 in Magdeburg gegründeten „Stahlhelm" aufgingen. Die NSDAP unterhielt mit ihrer „Schutz-Abteilung", der SA, sogar eine eigene, ständige stärker werdende Kampftruppe.

 

 

VZ vom 19.02.1921

In der Arbeiterbewegung wuchs daher die Überzeugung, daß man dieser Entwicklung mit der Gründung einer eigenen Organisation entgegentreten mußte.

Im Frühjahr 1924 wurde - nicht zufällig in Magdeburg - das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" gebildet, ein militant auftretender Kampfverband, dessen Ziel es war, die Republik, ihre Einrichtungen und die demokratischen Parteien zu schützen. Das Reichsbanner wurde zwar überwiegend von Sozialdemokraten getragen, schloß jedoch auch Angehörige des katholischen Zentrums und der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei DDP ein. In sehr kurzer Zeit entstand eine Massenbewegung mit Mitgliederzahlen im Millionenbereich. Auch in Schleswig-Holstein wurde die Idee schnell aufgegriffen. Im Juni 1924 erging ein Gründungsaufruf in Kiel, kurz darauf folgten die kleineren Städte. Am 26. Juli berichtete die Volkszeitung aus Nortorf: „Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold hielt am Mittwochabend seine erste Mitgliederversammlung ab. Erklärten schon bei der Gründung 60 Männer ihren Beitritt, so traten an diesem Abend abermals 25 der Vereinigung bei. Über 50 meldeten sich zur Teilnahme an der Kundgebung in Kiel am 10. August. Beschlossen wurde die sofortige Anschaffung einer schwarz-rot-goldenen Fahne. Heraus mit den Farben der Republik, Treue der Weimarer Verfassung, war der Gedanke, der die Versammlung beseelte."

 

Das Nortorfer Reichsbanner
(Foto: aus dem Buch "Vergessen und Verdrängt"

Das offene Auftreten der Reichsbannerleute für die Republik kam in bürgerlichen Kreisen nicht gut an. Unter der Überschrift „Angst vor der Reichsbannermütze?" brachte die Volkszeitung am 6. Januar 1925 folgende Geschichte: „Vor einiger Zeit forderte die hiesige Töpferei und Ofensetzerei, Inhaber Maaß, vom Arbeitsamt Rendsburg einen Fliesensetzer an. Der vom Arbeitsamt überwiesene Mann wurde zunächst sehr freundlich empfangen. Doch bald gewahrte der für schwarz-weiß-rot schwärmende Herr M. bei ihm die blaue Mütze mit dem Reichsbannerabzeichen, und kurzerhand erklärte er, daß er ihn nicht einstellen könne. Jedenfalls war dem Töpfermeister der Schreck in die Glieder gefahren, und so besann er sich schnell, daß Reichsbannerleute für seinen Betrieb nicht taugen."

In Verlauf der 20er Jahre verlagerte sich die Auseinandersetzung immer mehr auf die Straße. Im Februar 1925 kam es anläßlich eines „Deutschen Tages" zu einem Zusammenstoß zwischen Reichsbannerleuten und einer aus Kiel angereisten Schlägertruppe. Die Volkszeitung berichtete am 4. Februar: „Nachts gegen 2 Uhr zogen die Werwölfe mit Musik durch die Straßen. In der Großen Mühlenstraße wurde halt gemacht. Nun traf es sich gerade, daß um diese Zeit die Kameraden vom Reichsbanner vom Republikanischen Abend nach Hause gingen. Unter Abschießen von Leuchtraketen, bewaffnet mit Stöcken, Gummiknüppeln und gezogenen Dolchen wurden von diesen halbwüchsigen Burschen einige Kameraden des Reichsbanners verfolgt. Ein Kommando wurde gegeben, die Häuser zu besetzen. Eine Frau erklärte ihnen, sie sollten machen, daß sie vom Hofe kommen, worauf einer der Burschen ihr mit einem Stock einen Schlag auf den Arm versetzte. Bei dem Stadtverordneten Bahns, der nicht anwesend war und die Tür auch nicht verschlossen hatte, drangen die Burschen in das Haus ein. Am Sonntagmorgen erfolgte nun von den Kieler Werwölfen ein Weckruf. Zwölf Reichsbannerkameraden aus Rendsburg, die in Krohns Gasthof übernachtet hatten, waren der Meinung, daß es Reichsbannerkameraden waren, die teilnehmen wollten an der Gründungsfeier in Klein Vollstedt und stecken ihre Fahne aus dem Fenster. Die Werwölfe machten halt und beschimpften zunächst in gemeiner Weise die republikanischen Farben und der Führer des Korps forderte den Leiter der Jungmannen, der die Fahne aus dem Fenster hielt, auf, diese Fahne einzuziehen. Dieser erklärte jedoch: Das fällt mir gar nicht ein! Nun zog zunächst der Führer des Korps und dann noch drei weitere seiner Genossen die Pistole. Unter Vorhaltung von Waffen wollte sie jetzt das Einziehen der Fahne erzwingen. Kaltblütig erklärte der Reichsbannermann: ‚Nun schießt doch, Jungs!′ Als die Werwölfe ins Haus eindringen wollten, bat die Wirtin unsere Kameraden, doch die Fahne einzuziehen, damit ihr die Fensterscheiben nicht eingeschlagen würden. Dieser Aufforderung kamen unsere Kameraden nach, worauf die Werwölfe wieder abzogen. Während der Kirchzeit zog die Gesellschaft dann weiter mit Sang und Klang durch die Stadt." Die Nortorfer Zeitung machte ihren Standpunkt wieder einmal klar, indem sie die Vorgänge „jugendlicher Forschheit" zuschrieb und von angeblichen Provokationen von Seiten der Reichsbannerleute berichtete.

An die letzten Jahre der Weimarer Republik erinnerte sich 1984 der Nortorfer Sozialdemokrat Wilhelm Mallon in dem Buch „Vergessen + Verdrängt. Eine andere Heimatgeschichte": „Die SA hatte in Nortorf wenig zu bestellen. Sie holte sich die meisten ihrer Leute auch nicht aus der Stadt, sondern aus den Dörfern. Im Gegensatz zu Neumünster, Rendsburg und vor allem Eckernförde, wo SA-Leute 1932 in das Gewerkschaftshaus eindrangen und mit ihren Dolchen zwei Landarbeiter ermordeten - ich nahm damals an der Beerdigung teil - kam es in Nortorf nur zu wenigen Übergriffen, die verhältnismäßig glimpflich verliefen.

 

von links nach rechts: Willi Mallon, Willi Lange und Artur Dörotin
(Foto: H. D. Wommelsdorf)

Eine schwere Auseinandersetzung mit Latten und Steinen lieferten sich vor und in Tancks Hotel eine Gruppe von Kommunisten aus Neumünster und SA-Leute aus Nortorf und Umgebung. Das war Ende 1930. Der Lattenzaun vor der damaligen Spar- und Leihkasse wurde dabei arg in Mitleidenschaft gezogen. Aus dem Lokal heraus wurde jedoch auch geschossen, wobei ein Passant weitab in der Neuen Straße Verletzungen erlitt.

Ärger gab es bei uns im Reichsbanner, als unser Mitglied Erwin Georgi, ein Sohn des damals amtierenden Bürgermeisters, von SA-Leuten überfallen und zusammengeschlagen wurde. Um sich vor solchen Überfällen zu schützen, brachten sich die Mitglieder des Reichsbanners und der Eisernen Front in der Folgezeit gegenseitig nach Hause. Das ging auch eine Zeitlang gut, bis die SA aufgrund ihrer Überzahl übermütig wurde und von Krohns Gasthof aus, ihrem Sturmlokal, mit über 100 Mann eine kleine Gruppe von Reichbanner-Leuten, die gegen 23.00 Uhr auf dem Heimweg von einer Versammlung waren, in der Kirchspielstraße überfiel. Nun befand sich mit Gerhard Schürmann ein ehemaliger Berufsboxer bei den Reichsbanner-Leuten, so daß sich nach einem kurzen Handgemenge, bei dem einige der gefürchteten SA-Riesen aus Bokel zu Boden gingen, die Masse der SA-Leute sehr schnell in ihr Sturmlokal zurückzog.  

Später kam ein von der SA geplantes Aufeinandertreffen, das sicherlich böse Folgen gehabt hätte, nicht zustande, weil besonnene Leute rechtzeitig das Überfallkommando aus Neumünster alarmiert hatten. Beim Ortsausgang an der Itzehoer Straße, in der Nähe der vorgesehenen ‚Kampfstätte′, wurden Waffen sichergestellt. Zu weiteren Auseinandersetzungen ist es meines Wissens nicht gekommen, wenn man davon absieht, daß die Fenster des Reichsbanner-Vorsitzenden Hans Mester eingeworfen und die großen Ladenscheiben des Konsum, der an der Ecke Markt/Kieler Straße dem SA-Lokal genau gegenüber lag, zertrümmert wurden."

Während die Auseinandersetzungen auf den Straßen immer heftiger wurden, errangen die Republikgegner auf allen Ebenen Wahlsieg auf Wahlsieg. Am 30. Januar 1933 hatte die NSDAP dann ihr Ziel erreicht: Adolf Hitler wurde vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Nun waren der NSDAP alle Machtmittel des Staates in die Hände gegeben, um die parlamentarische Demokratie der „Weimarer Republik" in eine Diktatur umzuwandeln. Die konservativen Politiker, die geglaubt hatten, die Nationalsozialisten kontrollieren zu können, wurden bald eines Besseren belehrt.

Durch die hemmungslose Nutzung und Ausweitung der legalen Machtinstrumente und dem gleichzeitigen Einsatz des Terrors von der Straße konnte die NSDAP ihre Position weiter ausbauen. Wilhelm Mallon erinnerte sich an Übergriffe auch in Nortorf: „Von vielen Nortorfern wurde es jedoch als skandalös empfunden, als kurz nach der Machtübernahme angesehene Bürger, nicht nur Sozialdemokraten, mit Plakaten behangen, auf die entwürdigende Parolen geschmiert waren, von NSDAP-, NSBO- und SA-Leuten durch Nortorf getrieben wurden, bis sie der neue stellvertretende Bürgermeister, ein Nationalsozialist, in ‚Schutzhaft′ nahm, wahrscheinlich, um tatsächlich dem schlimmen Schauspiel ein Ende zu bereiten." (Vergessen + Verdrängt)

 

SA-Leute vergraben den Friedrich-Ebert-Stein an der Turnhalle der Freien Turnerschaft
(Foto: aus dem Buch "Vergessen und Verdrängt")

 

 

VZ vom 26.11.1930

 

 

 

 

 

VZ vom 19.02.1932

Nach der Auflösung des Reichstags und Neuwahlen legte Hitler ein „Ermächtigungsgesetz" vor, das das Parlament und die anderen verfassungsmäßigen Organe ausschalten sollte. Alle Parteien außer der SPD stimmten dem Gesetz zu. Damit gaben sie Hitler die Mittel zum Aufbau der Diktatur in die Hand. „Gleichschaltung" war das Schlagwort der folgenden Monate. Mit diesem Begriff aus der Elektrotechnik bezeichneten die Nationalsozialisten die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft nach dem Führerprinzip: Ministerien, Behörden, Rathäuser, Kreisverwaltungen und Gemeinderäte, sogar Vereine und Verbände, wurden mit Parteigenossen besetzt, die auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam organisiert waren. Innerhalb weniger Monate war so die Republik vernichtet, ohne daß zu ihrer Verteidigung etwas getan worden wäre.

Für die Arbeiterbewegung bedeutete die Machtübernahme der Nationalsozialisten eine tiefe Zäsur. Sie mußte erfahren, daß sie unfähig war zum spontanen, massenhaften Widerstand gegen die Katastrophe. Zu den Repressalien der Nationalsozialisten kam damit auch noch das Trauma des eigenen Versagens beim Schutz der Republik. Die spezielle Subkultur vom Konsumverein bis hin zu Sport und Gesang, die das ganze Leben der Arbeiterfamilien umfaßt hatte, wurde vollständig zerschlagen und konnte auch nach 1945 nicht im alten Umfang wiederbelebt werden. Am 26. Mai 1933 wurde die SPD verboten, ihre Mitglieder mußten die in den letzten demokratischen Wahlen errungenen Mandate abgeben. Damit war das Ende der parlamentarischen Demokratie in Deutschland gekommen.

Viele von der Verhaftung bedrohte Politiker wählten den Weg ins dänische Exil, um von dort den Widerstand zu organisieren. Andere versuchten, die jetzt illegale Gewerkschafts- und Parteiarbeit fortzusetzen. Das gelang dort am ehesten, wo die alten Organisationen der Arbeiterbewegung fest im Bewußtsein der Bevölkerung verankert waren. Dort konnte man beurteilen, von welcher Seite Denunzierung drohte, die mit Schutzhaft und Einweisung in eines der neugeschaffenen Konzentrationslager enden würde. Einige der Nortorfer Sozialdemokraten schafften es, mit geheimen Treffen einen kleinen Teil der sozialdemokratischen Organisation am Leben zu halten und über die Zeit der Diktatur zu retten.

 

Vermutlich diente auch der Posten als Haupt-Finanzwart in diesem Verband dazu, die Verbindung zwischen Sozialdemokraten aufrecht zu erhalten.

 
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