SPD Nortorf

Nortorf wird Industriestandort

Nortorf wird Industriestandort

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Nortorf keine nennenswerte Industrie. Handwerk und Gewerbe bestimmten das Bild der Wirtschaft. Auch die Gerberei wurde in Nortorf handwerksmäßig betrieben. Am Marktplatz lag bis 1904/05 der Betrieb des Lohgerbers und Gastwirts August Schönwandt und in der Niederstraße die Gerberei von Wilhelm Kaltschmidt, die er 1866 vom Kätner, Schuhmacher und Lohgerber Hans Friedrich Siebcken gekauft hatte. In den folgenden Jahren wurden auf Letzteres mehrere Hypotheken eingetragen, was auf Investitionen und Erweiterungen schließen läßt. Nach mehreren Besitzerwechseln war die Gerberei um die Jahrhundertwende im Besitz des Kaufmanns D. Johs. Hinselmann, der 1900 damit bankrott ging. Ältere Zeitungen berichten, daß in jenen Jahren schon mit einer Belegschaft von 100 Mann gearbeitet wurde. Belegen läßt sich das jedoch nicht.

 

Lohgerberei und Lederhandlung Detlef Schönwand (1903)
(Foto: Stadtarchiv Nortorf)

 

 

Lederfabrik Karl Hinselmann vor 1898, ab 1903 im Besitz von J. H. Böhme & Co.
(Foto: Stadtarchiv Nortorf)

Die eigentliche Industrialisierung der Lederverarbeitung kam mit der Familie Böhme nach Nortorf. Sie hatte in Wilster eine Lederfabrik besessen, die 1902 abgebrannt war. Bei der Suche nach Ersatz stieß sie auf die bankrotte Hinselmannsche Gerberei, die für 30.000 Mark erworben wurde. Heinrich Böhme, der nach dem Ausscheiden seines Bruders Johannes die Fabrik führte, zog mit seiner Familie nach Nortorf. Die bisherige Lohgerberei, bei der die Häute mit aus Baumrinde gewonnener Gerbsäure behandelt wurden, ersetzte er durch die sogenannte chromgare Gerbung, die auf Mineralien basierte.

Zusammen mit Heinrich Böhme kam ein Teil der schon in Wilster bei ihm beschäftigten Facharbeiter nach Nortorf. Die Familien blieben zunächst dort, die Arbeiter wurden in einer Gemeinschaftsunterkunft auf dem Fabrikgelände untergebracht. Im Verlauf der nächsten fünf Jahre zogen dann immer mehr Familien nach. Das Melderegister verzeichnet für die Zeit zwischen 1903 und 1908 ca. 60 Männer - die meisten mit der Berufsbezeichnung Gerber - , die mit ihren Familien von Wilster nach Nortorf zogen. Die Böhmesche Lederfabrik beschäftigte in Zeiten guter Konjunktur bis zu 160 Menschen. Sie bildeten den Kern der sozialdemokratischen Bewegung in Nortorf.

Die weitere Geschichte der Lederfabrik ist schnell erzählt: Nach dem Tod Heinrich Böhmes im Jahre 1912 führte sein Sohn Hermann die Fabrik weiter. Als er 39jährig in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges fiel und auch seine Frau bald darauf starb, leitete eine Tante den Betrieb bis zur Volljährigkeit des Sohnes Joachim. 1938 endete dann die Ära Böhme in Nortorf, als die Fabrik vom Lederfabrikanten Ewald Köster gekauft wurde. Er vermietete sämtliche Fabrikräume 1951 an die Firma Teldec.

 

Belegschaft der Firma Böhme
(Foto: Stadtarchiv Nortorf)

Die am Ortsrand von Nortorf 1899 gebaute zweite Lederfabrik von Wilhelm Carl ging bereits nach einem Jahr in Konkurs. Diesen Neubau kaufte der jüdische Kaufmann David Benjamin und nannte die Fabrik „Loges & Rassmussen". Es wurde sehr schnell die größere der beiden Lederherstellungsbetriebe. Der jüdische Betrieb war offensichtlich den Arbeitern gegenüber milder gesonnen; denn zu den 1. Mai-Kundgebungen zogen die Arbeitervereine von ihrem Versammlungsort an der Bargstedter Straße mit dem Spielmannszug der Freien Turnerschaft zu den Fabriktoren und spielten dort so lange, bis sich die Lederarbeiter dem Musikzug zur Maidemonstration anschlossen. Bei Böhme waren es nur wenige, aber beim „Juden" schlossen sich die Arbeiter in Scharen an. Die Arbeiter mussten damit rechnen, fristlos gekündigt zu werden. Der 1. Mai war zwar offiziell als Arbeiterfeiertag proklamiert aber von den „Bürgerlichen" nicht anerkannt. Im Übrigen ist bekannt, daß David Benjamin die Arbeitervereine förderte und unterstützte.

 
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